Opiate & Opionide sind, wie der Name schon sagt, Medikamente zur Linderung von Schmerzen. In Form von Opiaten oder Opioiden haben sie eine sehr starke Wirkung und kommen immer dann zum Einsatz, wenn Analgetika aus der Gruppe der sogenannten NSAR nicht mehr ausreichen. Für viele Schmerzpatientinnen und -patienten bieten Opiate und Opioide die einzige Chance auf ein lebenswertes Leben. Zu beachten ist aber ihr hohes Suchtpotenzial.
Etwa jeder 20. Bundesbürger im Alter von 18 bis 64 Jahren nimmt täglich ein leicht oder stark wirkendes Schmerzmittel ein, jeder 5. wöchentlich. Annähernd jeder 10. nutzt Schmerzmittel missbräuchlich, und jeder 30. ist per Definition laut ICD-10 abhängig.
Schmerzen sind unangenehm. Kein Wunder, dass der Mensch jede neu entdeckte schmerzstillende Substanz freudig begrüßte – und die Forschung energisch vorantrieb. Alle Opiate werden aus dem Saft der unreifen Samenkapseln des Schlafmohns (Papaver somniferum) gewonnen. Bereits 4000 v. Chr. haben sich Sumerer und Ägypter damit berauscht und betäubt. In China war Opium medizinisch schon früh bekannt – und wurde im ausklingenden 19. Jahrhundert als „Volksdroge“ zum Problem. Einfuhrverbote sollten die Folgen des Massenkonsums eindämmen, uferten jedoch stattdessen in die sogenannten Opiumkriege aus. Zu sehr fürchteten Handelspartner auf der ganzen Welt, z. B. den Zugriff auf das umsatzstarke Laudanum zu verlieren, nach dem weltweit zahllose Menschen süchtig waren. Erst 1906 wurde die Mohnkultur in China von Staatsseite eingeschränkt und es wurden strenge Strafen für illegalen Anbau ausgesprochen.
Die Isolierung des Opium-Hauptwirkstoffs gelang dem deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner im Jahr 1806. Das Alkaloid Morphin erwies sich als wirkungsvolles Medikament bei starken Schmerzen. Leider machte es sehr schnell süchtig, und es gab auch viele Missbrauchsfälle unter Ärzten. In den Folgejahren hat man verstärkt nach neuen Substanzen geforscht, die ähnlich stark gegen Schmerzen wirken, aber nicht zu einer Sucht führen. Das Ergebnis waren zahlreiche voll- oder teilsynthetische sogenannte Opioide, darunter im Jahr 1940 das Medikament Methadon, dem die berauschenden Effekte seiner Substanzverwandten fehlen. Dieses wird noch heute erfolgreich in der Opiat- und Opioidentgiftung sowie in der Substitutionstherapie Heroinabhängiger verwendet.
Schmerzmittel werden zumeist in Tabletten- oder Tropfenform eingenommen, manchmal auch als Zäpfchen. In der stationären oder ambulanten Notfallbehandlung verabreicht man sie oft als Injektion oder Infusion. Bei sehr starken Schmerzen wie Tumorschmerzen kommen mittlerweile immer öfter Transdermalpflaster zum Einsatz. Sie geben den Wirkstoff (z. B. das Opioid Fentanyl) kontinuierlich über die Haut ab. Die Pflaster werden zum Teil auch leichtfertig bei Rücken- oder Osteoporoseschmerzen angewendet.
Opiathaltige Schmerzmittel werden auch anderweitig missbraucht. So spritzen sich z. B. manche Schwerstabhängige Fentanyl, das zuvor aus Transdermalpflastern gelöst wurde. Im Zweifelsfall werden sogar bereits genutzte Pflaster verwendet – man kann sich vorstellen, welche zusätzlichen unkalkulierbaren Risiken dadurch entstehen! Diese Sachlage erfordert in Kliniken und Praxen mittlerweile eine äußerst streng überwachte Entsorgungsstrategie.
… sind Opiate alle Substanzen, die auf Rohopium oder seinen Alkaloiden basieren (v. a. Morphin). Von Opioiden spricht man immer dann, wenn eine Substanz morphinähnlich wirkt, aber nicht ursprünglich aus Opium gewonnen wurde.
Treffen im menschlichen Organismus Stress- oder Schmerzreize ein, werden sofort körpereigene Opioide, sogenannte Endorphine, freigesetzt. Diese docken an spezialisierte Rezeptoren im Nervensystem an und hemmen damit die Übermittlung von Schmerzimpulsen ans Gehirn. Dieser Prozess ist der Grund, warum man z. B. nach einem Unfall zunächst nichts spürt und der Schmerz erst später eintritt. Er versetzt uns in die Lage, in einer Krisensituation zunächst handlungsfähig zu bleiben.
Dem Körper ist es jedoch egal, woher die Botenstoffe kommen, die sich an seine Rezeptoren setzen. Deshalb erfüllen Schmerzmittel aus der Familie der Opiate und Opioide denselben Zweck. Gleichzeitig stimulieren manche davon das limbische System im Gehirn, heben also die Laune. Das Opioid Codein unterdrückt zusätzlich den Hustenreiz und ist Bestandteil stark wirksamer Hustensäfte und -tropfen.
Wie schnell die Wirkung eintritt und wie schnell sie wieder nachlässt, ist je nach Wirkstoff und Darreichungsform unterschiedlich; auch der körperliche Allgemeinzustand und das Gewicht des Patienten spielen eine Rolle. Sogenannte Retard-Präparate geben den Wirkstoff nach und nach an den Körper ab.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für die Schmerztherapie ein dreistufiges Schema entwickelt. Es teilt die Schmerzintensität in drei Stufen ein. Je nach Stufe sind unterschiedliche Behandlungsformen vorgesehen. Es gilt das Prinzip „So viel wie nötig, so wenig wie möglich!“.
Stufe 1 – schwacher Schmerz:
Behandlung mit nichtopioiden Schmerzmitteln aus der Gruppe der NSAR (z. B. Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol)
Stufe 2 – mittelstarker Schmerz:
Behandlung mit Opioiden von höherer analgetischer Potenz ↗ (z. B. Tramadol, Tilidin)
Stufe 3 – starker Schmerz:
Behandlung mit starken Opioiden (z. B. Fentanyl, Morphin)
Akuter Schmerz hat zumeist eine sinnvolle Warnfunktion, während chronischer Schmerz das ganze Leben bestimmen kann. Ein solcher Zustand ist sowohl körperlich als auch psychisch äußerst belastend. In diesem Fall ist eine sogenannte multimodale Behandlung aus Medikamenten, Physiotherapie und psychologischer Unterstützung angesagt. Die Dosis muss so sorgfältig gewählt sein, dass sogenannte Durchbruchsschmerzen langfristig ausbleiben – denn diese wären nur mit hohen Opiat- oder Opioid-Dosen wieder zu betäuben.
In unserer Gesellschaft besteht ein hoher Anspruch auf Schmerzfreiheit: Viele Menschen wollen selbst leichte Schmerzen nicht aushalten oder deren eigentliche Ursache angehen (etwa Fehlhaltungen). Der Griff auch zum starken Schmerzstiller ist deshalb heute oft Standard. Der weitaus größte Teil der Anwender nimmt Opioide jedoch nicht aus Wehleidigkeit oder Bequemlichkeit ein: Mit manchen Tumor-, Osteoporose-, Rücken-, Kolik-, Amputations- oder Nervenschmerzen wäre ohne Medikamente ein normales Leben schlicht unmöglich.
Denn: Wie bei jeder Substanz, die in die Körperchemie eingreift, kann sich bei längerem Gebrauch von Opiaten oder Opioiden eine Toleranz ausbilden. Die Medikamente wirken dann nicht mehr so gut. Um ein Wiederkehren des Schmerzes zu verhindern, muss die Dosis gesteigert werden. Bleibt die Einnahme der gewohnten Substanz aus oder erfolgt sie zu spät, kann der Schmerz nicht nur zurückkommen, sondern obendrein von Entzugserscheinungen begleitet sein. Deshalb müssen Schmerzpatienten, die über längere Zeit mit Opiaten oder Opioiden behandelt wurden und damit aufhören sollen/wollen, ihr Medikament langsam ausschleichen.
Wie beinahe alle Medikamente können Opiat-Schmerzmittel zu Nebenwirkungen führen. Die häufigsten kurzfristigen Begleiterscheinungen sind Übelkeit, Schwindel, Verstopfung, Juckreiz, Stimmungsveränderung und Schläfrigkeit. Diese treten hauptsächlich bei erstmaliger Einnahme ein, bis sich der Körper an die Stoffe gewöhnt. Manche Opiate und Opioide beeinträchtigen außerdem das Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen, so dass die Teilnahme am Straßenverkehr oder das Führen von Maschinen nicht sicher ist.
Weit schwerer als alle diese Akut-Nebenwirkungen wiegen jedoch die Gefahren des Dauergebrauchs. Bei manchen Mitteln steigt die Tendenz zu epileptischen Anfällen.
Wichtig: Patienten mit Atemfunktionsstörungen dürfen opiathaltige Schmerzmittel grundsätzlich nur unter lückenloser ärztlicher Beobachtung erhalten, weil einige Wirkstoffe dämpfend auf das Atemzentrum des Gehirns wirken!
Ein weiteres, oft vernachlässigtes Risiko ist das der „angenehmen Gleichgültigkeit“. Davon spricht man, wenn der Wirkungseintritt des Opiats oder Opioids von einer leichten Euphorie begleitet ist. Um diesen angenehmen Zustand so oft wie möglich zu erreichen, dosieren die Patienten dann immer schneller nach. Leider schlägt das flüchtige Glücksgefühl oft in Gereiztheit und mangelnde Empathie um. Das macht soziale Kontakte dann schwer.
Manche Opiate und Opioide verstärken sich gegenseitig in der Wirkung mit anderen Medikamenten und Substanzen, darunter z. B.:
Absolute Offenheit dem verschreibenden Arzt gegenüber ist deshalb das A und O einer sicheren Opiat-Schmerztherapie.
Wenn sie mit Augenmaß verordnet und eingenommen werden, gehören Opiate und Opioide zu den sicheren Arzneimitteln. Trotz ihres Suchtpotenzials haben sie einen wichtigen Platz in der Behandlung schwerer Schmerzzustände und sollten keinem Betroffenen vorenthalten werden! Jedoch muss sichergestellt sein, dass die therapeutische Kontrolle jederzeit eingehalten wird. Ist ein Patient trotz aller Vorsicht in eine Abhängigkeit geraten, ist zunächst diese Information wesentlich: Der reine Opiat entzug ist zwar unangenehm, aber keinesfalls lebens gefährlich! Die Abdosierung sollte deshalb unbedingt gewagt werden – entweder ambulant mit einem vertrauten Arzt oder stationär in einer Klinik. … und wohin mit dem Schmerz? Besteht die Grundursache der Schmerzen weiterhin, wird neu gedacht. Einerseits muss natürlich der Restschmerz behandelt werden. Hier wird der Arzt versuchen, das gewohnte Medikament schrittweise durch ein anderes, nicht opioidhaltiges zu ersetzen. Oft ist eine begleitende physiotherapeutische Behandlung sinnvoll. Die meisten Abhängigen profitieren außerdem von psychologischer Begleitung. Erster Ansprechpartner für einen Entzug ist eine Suchtberatungsstelle oder der Hausarzt bzw. jede suchtmedizinische Ambulanz. Die Hilfe der Beratungsstellen ist in der Regel kostenlos.
Wichtiger Hinweis: Diese Texte dienen lediglich der allgemeinen Information und ersetzen keine professionelle medizinische Beratung. Wenn Fragen zu psychischen Erkrankungen auftauchen, sollte ein Facharzt oder Psychotherapeut kontaktiert werden.
Copyright © 2018-2024 kopfnuss – community für menschen mit psychischen erkrankungen